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Original paragraph in
Die Presse - Monday, April 8, 1895
Die Presse - Monday, April 8, 1895
Most similar paragraph from
Neue Freie Presse - Monday, April 8, 1895
Neue Freie Presse - Monday, April 8, 1895
Difference
London, 6. April.
(Process Wilde gegen Marquis Queensberry.) Einer der größten Scandalprocesse, welcher in England seit Jahren vorgekommen ist, die
Verleumdungsklage des Schriftstellers Oskar Wilde gegen den Marquis Queensberry, fand, wie schon berichtet, gestern nach dreitägiger Verhandlung gottlob
ihren frühzeitigen Abschluß.
Der Marquis hatte bekanntlich Wilde des unzüchtigen Umgangs mit seinem zwanzigjährigen Sohne Lord Alfred Douglas beschuldigt. Absichtlich,
so erklärte der Marquis, wolle er die Sache auf die Spitze treibcn, um seinen Sohn zu retten. Die bei den Gerichtsverhandlungen an das Licht gekommenen
Thatsachen waren so empörender Natur, daß die conservative „St. James Gazette” die Berichterstattung einstellte und sich aus die Mittheilung des Resultats
beschränkte. Der „Daily Chronicle” erklärte seinen Lesern, Interesse des öffentlichen Anstandes den Proceß nur in aller Kürze bringen könne. Die
allermeisten Londoner Zeitungenwählten allerdings einen anderen Weg und tischten ihren Lesern seitenlange Berichte auf, welche jedenfalls unermeßlichen
Schaden gestiftet haben.
Die Vertheidigung suchte am ersten Tage aus Oskar Wilde's Schriften dessen contrasexuale Eigenschaften zu beweisen. In dieser Beziehung
bot die zuerst in „Lippincott's Magazin” veröffentlichte Novelle „Dorian Grey” für den Criminal-Psychologen äußerst interessante Beiträge. Die am zweiten
Tage verlegnen Briefe des Lord Alfred Douglas an Wilde und seine an diesen gerichtete Ode brachten ein Grabesschweigen im Gerichtssaal hervor. Auch die
Briefe, welche der junge Mann an feinen Vater, den Marquis Queensberry, gerichtet halte, gelangten zur Verlesung. Dieselben enthüllten traurige
Familienverhältnisse. In einem derselben heißt es: „Ich bin volljährig und mein eigener Herr. Tu hast mich schon zwölfmal enterben wollen. Wenn Oskar
Wilde Dich strafrechtlich belangen wollte, so würdest Du sieben Jahre Zuchthaus bekommen. Obgleich ich Dich verabscheue, will ich dennoch im Interesse
unserer Familie es vermeiden. Wenn Du mich angreifst, so werde ich mich mir dem Revolver vertheidigen. Es wäre völlig gerechtfertigt, wenn ich oder er
Dich erschösse, da wir uns nur vertheidigen würden gegen einen gefährlichen Raufbold. Ich glaube, nicht viele würden Dich vermissen, wenn Du todt
wärest.”
Die Vertheidigung suchte am ersten Tage aus Oskar Wilde's Schriften dessen verbrecherische Neigungen zu beweisen. In dieser Begebung bot
die zuerst in Lippmatt's Magazine veröffentlichte Novelle „Dorian Grey” für den Criminal-Psychologen äußerst interessante Beiträge. Die am zweiten Tage
verlesenen Briefe des Lord Alfred Douglas an Wilde und seine an diesen gerichtete Ode brachten ein Grabesschweigen im Gerichtssaale hervor. Auch die
Briefe, welche der junge Mann an seinen Vater, den Marquis Queensberry, gerichtet hatte, gelangten zur Verlesung. Dieselben enthüllten traurige
Familienverhältnisse. In einem derselben heißt es: „Ich bin volljährig und mein eigener Herr, du hast mich schon zwölfmal enterben wollen. Wenn Oskar
Wilde dich strafrechtlich belangen wollte, so würdest du sieben Jahre Zuchthaus bekommen. Obgleich ich dich verabscheue, will ich dennoch im Interesse
unserer Familie es vermeiden. Wenn du mich angreifst, so werde ich mich mit dem Revolver vertheidigen. Es wäre völlig gerechtfertigt, wenn ich oder er
dich erschösse, da wir uns nur vertheidigen würden gegen einen gefährlichen Raufbold. Ich glaube, nicht viele würden dich vermissen, wenn du todt wärest.”
Einen unerwarteten Abschluß fand der Proceß gestern, als die Vertheidigung ihre Zeugen vorführen wollte. Der Anwalt Wilde's, Sir Edward Clarke, erklärte
zum allgemeinen Erstaunen, daß sein Client die Anklage zurückziehen und derselbe sich mit dem Verdict „Nichtschuldig” zufrieden geben wolle. Der Anwalt
des Marquis, Carson, hatte nichts da ¬gegen einzuwenden. Die Jury verlieb gar nicht ihre Bank, sondern gab sofort den Wahrspruch „Nichtschuldig” ab. Oskar
Wilde wurde noch gestern Nachmittags in einem Hotel in Chelsea verhaftet.
Im Laufe der Verhandlung behauptete die Vertheidigung, daß Wilde verbotenen Umgang mit einer ganzen Anzahl junger Männer, unter Anderm mit
Bediensteten des Savoy Hotels gepflogen habe. Einen unerwarteten Abschluß fand der Proceß gestern, als die Vertheidigung ihre Zeugen vorführen wollte. Der
Anwalt Wilde's, Sir Edward Clarke, erklärte zum allgemeinen Erstaunen, daß sein Client die Anklage zurückziehen und derselbe sich mit dem Verbiet
„Richtschuldig” zufrieden geben wolle. Der Anwalt des Marquis, Earjon, hatte nichts dagegen einzuwenden. Die Jury verließ gar nicht ihre Bank, sondern gab
sofort ihren Wahrspruch „Nichtschuldig” ab. Oskar Wilde wurde noch gestern Nachmittags in einem Hotel in Chelsea verhaftet. Der Proceß konnte eine gute
Folge haben, wenn er dazu diente, daß dergleichen Fälle endlich in England „in camera” verhandelt würden. Dazu besteht aber wenig Aussicht. Die Engländer
haben sich eine eigenthümliche Theorie vom „öffentlichen Interesse” gebildet.