Aus dem Gerichtssaale.

London, 8. April.

(Proceß Wilde.) Der traurige Proceß des Schriftstellers Oskar Wilde gegen den Marquis Queensberry wird nun ein vielleicht noch trauligiies Nachspiel haben, seitdem der öffentliche Ankläger die Anklage gegen Wilde erhoben hat. Wilde wurde, wie bereits berichtet, noch am Freitag von den Detectivs in Chelsea verhaftet. Die Nacht mußte er in einer Zelle der Bow-Street Polizeistation zubringen: die von seinem jugendlichen Freunde Lord Alfred Douglas angebotene Bürgschaft wurde nicht angenommen. Die Polizei erlaubte Lord Alfred nicht einmal, dem Verhafteten frische Wäsche zu bringen. Schon am Samstag wurde Wilde dem Polizei-, beziehungsweise Untersuchungsrichter in Bow-Street vorgeführt. Die Anklage lautete, daß Wilde sich mit mehreren jungen Leuten, die gleich Wilde aus der Anklagebank saßen, schwer vergangen habe. Einer von diesen, Namens Taylor halte eine feinmöblirte Wohnung, wo er viele Herrenbesuche empfing. Das Dienstmädchen im Savoy Hotel, Jane Lotter, machte sehr belastende Aussagen; ebenso der Ma,seur Migge,; der Commis Wood und mehrere Andere. Zur Erlangung weiteren Materials wurden die Verhandlungen daraus bis zum nächsten Donnerstag vertagt. Die Anklage stützt sich auf den elften Paragraphen des „Criminal Law Amendment Act”, der für die, unter ihm Verurtheilten eine Maximumstrafe von zwei Jahren mir oder ohne harte Arbeit zuläßt. Oskar Fingal Flaherty Wills Wilde ist der Sohn des verstorbenen Sir William Wilde, des seinerzeit hervorragendsten Augenarztes in Dublin. Er hat in seinem Leben schon viel von sich reden gemacht. Nachdem er im Trinity College zu Dublin die goldene Medaille für Griechisch und dann 1878 in Oxford den Newdegate-Preis für ein englisches Gedicht erhalten, kam er in folgenden Jahre nach London und wurde alsbald in eigentliche Seele der zu Anfang der Achtziger-Jahre in London in üppigster Blüthe stehenden „ästhetischen Bewegung”, die Alles reformiren wollte, zumal die Häuser- und Zimmerdecorationen und den Trachten der Männer wie der Frauen einen „ästhetischen” Stempel auszudrücken anstrebt«. Wilde selbst, dem besonders das gegenwärtige Herrenbeinkleid ein Gräuel war, er ¬schien auch — wenn schon nicht gerade aus offener Straße in Kniehosen, langen Strümpfen und Schnallenschuhen. Er wurde vielfach verlacht und gehänselt, aber das macht ihm offenbar wenig genug aus, so lange man überhaupt nur Notiz von ihm nahm. Indessen auch der gewannteste Reclameheld kann aus die Dauer nichts erreichen - wenigstens nicht in dem Maße, wie es Wilde gelang — wenn ihm wirklich jede Bedeutung abgeht. Und so läßt sich auch nicht leugnen, daß Wilde, wenn auch oftmals recht barocke, so doch immerhin recht originelle Ideen zutage förderte. Allgemeineren Anklang fanden indessen erst seine Dramen, mit denen er in den letzten Jahren hervortrat, die nicht sowohl durch ihren dramatischen Ausbau und fesselnde Situationen das Interesse des Publicums wachhalten, sondern auch durch ihre geistreiche Conversation und ihre Geißelhiebe auf das sociale Leben und eine höchst komische Auffassung dessen, was das Leben mit sich bringt und von uns verlangt, in manchen Kreisen sich einer besonderen Beliebtheit erfreuen. Wilde's Lebensphilosophie findet sich in einem im vorigen Jahre erschienenen Roman „The Green Carnation”, der offenbar von ihm eingegeben ist, auseinandergesetzt. „Die höhere Philosophie” so heißt es darin - „besteht darin, vor nichts zurückzuschrecken, so zu leben, wie man zu leben wünscht, den Muth seiner Begierden zu haben.” Und dementsprechend lebte er denn wie er wollte.

Zum Proceß des Schriftstellers Oskar Wilde gegen den Marquis von Queensberry wird uns noch aus London geschrieben: Wilde wurde, wie bereits berichtet, noch am Freitag von den Detectives in Chelsea verhaftet. Die Nacht mußte er in einer Zelle der Bow-Street-Polizeistation zubringen. Die von seinem jugendlichen Freunde Lord Alfred Douglas angebotene Bürgschaft wurde nicht angenommen. Die Polizei erlaubte Lord Alfred nicht einmal, dem Verhafteteten frische Wäsche zu bringen. Schon am Sonnabend wurde Wilde dem Polizei-resp. Untersuchungsrichter in Bow-Street vorgeführt. Die Anklage lautete, daß Wilde sich mit mehreren jungen Leuten, die gleich Wilde auf der Anklagebank saßen, sittlich vergangen habe. Einer derselben, Namens Taylor, hatte eine feinmöblirte Wohnung, wo er viele Herrenbesuche empfing. Die Fenster waren verhangen und es wurden nur Kerzen in dem Zimmer gebrannt. Auch das Dienstmädchen im Savoy-Hotel, Jane Cotter, machte belastende Aussagen. Ebenso der Masseur Migge, der Commis Wood und mehrere andere. Zur Erlangung weiteren Materials wurden die Verhandlungen darauf bis zum nächsten Donnerstag vertagt. Sogleich nach seiner Freisprechung vor der Verhaftung Wildes sandte Lord Queensberry das folgende Schreiben an den Schriftsteller: „Wenn das Land Ihnen erlaubt, sich aus dem Stande zu machen, nur um so besser für das Land. Wenn Sie aber meinen Sohn mitnehmen, werde ich Ihnen auf Schritt und Tritt folgen, wohin Sie gehen, und Sie niederschießen.” --- Oskar Wilde hat durch seine Extravaganzen immer viel von sich reden gemacht. Ja, dieses schien von vornherein das Ziel seines Auftretens. Nachdem er im Trinity College zu Dublin die goldene Medaille für Griechisch und dann 1878 in Oxford den Newdigate – Preis für ein Englisches Gedicht erhalten, kam er im folgenden Jahre nach London und wurde alsbald die eigentliche Seele der zu Anfang der achtziger Jahre hier in üppigster Blüthe stehenden „ästhetischen Bewegung”, die Alles reformiren wollte, zumal den Häuser- und Zimmerdecorationen und den Trachten der Männer wie der Frauen einen „ästhetischen” Stempel aufzudrücken anstrebte. Wilde selbst, dem besonders das gegenwärtige Herrenbeinkleid ein Gräuel war, erschien auch. --- wenn schon nicht gerade auf offener Straße – in Kniehosen, langen Strümpfen und Schnallenschuhen. Er wurde vielfach verlacht und gehänselt, aber das machte ihm offenbar wenig genug aus, so lange man überhaupt nur Notiz von ihm nahm. Indessen auch der gewandteste Reclameheld kann auf die Dauer nichts erreichen --- wenigstens nicht in dem Maße, wie es Wilde gelang, --- wenn ihm wirklich jede Bedeutung abgeht. Und so läßt sich auch nicht leugnen daß Wilde, wenn auch oftmals recht barocke, so doch immerhin recht originelle Ideen zu Tage förderte. Allgemeineren Anklang fanden indessen erst seine Dramen, mit denen er in den letzten Jahren hervortrat, sein „Lady Windermere’s Fan”, „A Woman of no Importance” u.a., die nicht sowohl durch ihren dramatischen Aufbau und fesselnde Situationen das Interesse des Publicums wachhalten, sondern auch durch ihre kräftigen Geißelhiebe auf das sociale Leben. Augenblicklich werden zwei Stücke von ihm aufgeführt. „An Ideal Husband” im Haymarket und „The importance of being Earnest” im St. James Theater ---- ohne Namen des Verfassers auf dem Theaterzettel!

London, 11. April. (Telegr. d. „Presse”.)

Oskar Wilde und Taylor wurden heute wieder dem Polizeigerichte vorgeführt. Nach einer für beide Beschuldigte ungemein belastenden Beweisaufnahme wurden sie bis nächsten Donnerstag zurückgestellt. Die Bibliothek des Britischen Museums und andere öffentliche Bibiliotheken Londons und Newports entfernten die Werke Wilde‘s aus ihren Leseräumen.

Out of the courtroom.

London, April 8th.

(Trial Wilde.) The sad trial of the writer Oskar Wilde against the Marquis Queensberry will now have perhaps an even sader sequel since the public prosecutor brought the charges against Wilde. As previously reported, Wilde was arrested by detectives in Chelsea on Friday. He was forced to spend the night in a cell at Bow Street Police Station: the bond offered by his youthful friend, Lord Alfred Douglas, was not accepted. The police would not even allow Lord Alfred to bring fresh linen to the arrested man. Wilde was brought before the police or coroner in Bow Street on Saturday. The charge was that Wilde had committed violent offenses with several young people who, like Wilde, were sitting in the dock. One of these, named Taylor, kept a finely furnished apartment, where he received many gentlemen's visits. The maid at the Savoy Hotel, Jane Lotter, made very incriminating statements; likewise the Ma'seur Migge; the Commis Wood and several others. To obtain further material, the negotiations were adjourned until next Thursday. The charges are based on Section 11 of the Criminal Law Amendment Act, which allows those convicted under it a maximum sentence of two years with or without hard labor. Oskar Fingal Flaherty Wills Wilde is the son of the late Sir William Wilde, the most eminent ophthalmologist in Dublin at the time. He's been talked about a lot in his life. After receiving the gold medal for Greek at Trinity College Dublin and then the Newdegate Prize for an English poem at Oxford in 1878, he came to London in the years that followed and soon became the real soul of the early eighties in London most luxuriantly blooming "aesthetic movement" that wanted to reform everything, especially since the house and room decorations and the costumes of men and women strived to express an "aesthetic" stamp«. Wilde himself, who was particularly horrified by the current men's trousers, appeared too, if not out in the open, in breeches, long stockings and buckled shoes. He has often been laughed at and teased, but apparently that doesn't bother him enough as long as he is even noticed. However, even the most won-over publicity hero cannot achieve anything in the long run - at least not to the extent that Wilde did - if he really lacks any importance. And so it cannot be denied that Wilde brought to light, if often quite baroque, at least quite original ideas. However, only his dramas, with which he has made his mark in recent years, have found general approval, which not only keep the interest of the public alive through their dramatic development and captivating situations, but also through their witty conversation and their lashing of the scourge on social life and a highly comic one view of what life entails and demands of us are particularly popular in some circles. Wilde's philosophy of life is set out in a novel, The Green Carnation, published last year and apparently inspired by him. "The higher philosophy," it says, "consists in not shrinking from anything, in living as one wishes to live, in having the courage of one's desires." And accordingly he lived as he wanted.

London, April 11th. (Telegram from the "Presse".)

Oskar Wilde and Taylor were brought before the police court again today. After an extremely incriminating hearing of evidence for both accused, they were deferred until next Thursday. The British Museum Library and other public libraries in London and Newport removed Wilde's works from their reading rooms.