Von Oskar Wilde.

Nachdruck verboten.

Am Abend des wunderschönen ersten Mai, als alle Knospen sprangen, endigte vor einer Londoner Jury der Proceß des berühmten englischen Schriftsteller» Oskar Wilde mit einer sensationellen Ueberraschung. Wir haben berichtet, daß das Verbiet der Jury auf nichtschuldig lautete. Aber dieses Nichtschuldig bezog sich nur auf vier Punkte der Anklage, und bezüglich der restlichen Schuldtragen konnten sich die Geschwornen nicht einigen. Der Richter sprach nur den Angeklagten rücksichtlich jener vier Punkte frei. Wilde blieb aber in Hast, da die Festsetzung der zu leistenden Bürgschaft noch nicht erfolgt ist, und der Proceß wird demnächst vor einer anderen Jury wiederholt werden. Der tiefe Fall dieses bedeutenden Schriftstellers hat in ganz England ungeheure Sensation erregt, von der man sich vielleicht einen Begriff machen wird, wenn man hört, daß in London die Extra-Ausgaben der Mittwoch-Abendblätter, welche über den oberwähnten Verlauf des Processes berichteten, einen so reißenden Absatz fanden, wie noch bei keinem Ereigniß seit dem letzten Kriege. Oskar Wilde ist jedenfalls eine interessante Persönlichkeit. Als Schriftsteller wurde er am meisten durch seine Epigramme und Sentenzen bekannt; aus diesen wollen wir hier einige Proben unseren Lesern mittheilen:

Ein Mann kann in der Wahl seiner Feinde nicht vorsichtig genug sein.

Fronen sind Sphinxe ohne Geheimnisse. Diejenigen, die treu sind, kennen nur die Comödie der Liebe; es ist die Treulosigkeit, welche die Tragödie der Liebe kennt.

Die Männer heiraten, weil sie müde, die Frauen, weil sie neugierig sind; und beide werden enttäuscht.

Der einzige Unterschied zwischen einer Caprice und einer lebenslange» Leidenschaft ist der, daß die Caprice ein wenig länger dauert.

In ganz London gibt es nur fünf Frauen, von denen es die Mühe werth ist, zu sprechen; und zwei derselben kann man in keine anständige Gesellschaft mitbringen.

Wenn ein Mann eine ordentliche Dummheit macht, so hat er es immer aus den edelsten Motiven.

Der einzige Weg, auf welchem eine Frau einen Mann ändern kann, ist der, ihn so gründlich zu langweilen, daß er das ganze Interesse am Leben verliert.

Nichts macht Einen so eitel, als wenn man ihm sagt, daß er ein Sünder sei. Der einzige Zauber der Vergangenheit ist der, daß sie die Vergangenheit ist.

Der einzige Weg, um sich von einer Versuchung zu befreien, ist der, ihr zu unterliegen. Man soll niemals in irgend einer Sache Partei nehmen; Parteinahme ist der Beginn der Aufrichtigkeit, bald nachher folgt Ernsthaftigkeit, und das menschliche Wesen wird unausstehlich.

Einfache Frauen sind immer auf ihre Männer eifersüchtig, schöne Frauen niemals. Schöne Frauen haben niemals Zeit; sie sind stets damit beschäftigt, auf anderer Frauen Männer eifersüchtig zu sein.

Nichts schadet einem Liebesroman mehr als ein wenig Humor in der Frau, oder der Mangel desselben bei dem Manne.

Einer Frau, die Einem ihr wahres Alter sagt, soll man niemals trauen. Eine Frau, die Einem ihr Alter anvertraut, sagt Einem Alles.

Als Ernst und ich uns verlobten, schwur er mir auf den Knien, daß er niemals zuvor eine Andere geliebt. Ich war damals sehr jung, und so glaubte ich ihm nicht. Nachdem ich fünf, sechs Monate verheiratet war, fand ich, daß er mir damals die volle Wahrheit gesagt hatte. Und diese Art von Männern macht das Leben so uninteressant.

Die Männer wollen immer dir erste Liebe einer Frau sein. Wir Frauen find da vernünftiger. Wir wollen nur der letzte Roman eines Mannes sein.

Der einzige Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Sünder ist der, daß jeder Heilige eine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft hat.

Mäßigkeit ist eine fatale Sache. Nichts hat wehr Erfolg als Ausschreitungen.

Scheidungen werden im Himmel geschlossen.

Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach.

Die Frauen nennen sich erst dann Schwestern, wenn sie sich vorher schon alles Mögliche geheißen haben.

Ich langweile mich immer auf dem Lande; man nennt dies landwirthschaftlichen Niedergang.

Man darf einen Menschen nicht immer nachdem würdigen, Was er thut. Er kann die Gesetze halten und doch nichts¬würdig sein. Er kann die Gesetze brechen und doch edel sein.

Er kann schlecht sein, ohne jemals etwas Schlechtes zu thun.Er kann eine Sünde gegen die Gesellschaft begehen und doch durch diese Sünde seine Vollkommenheit beweisen.

Man schreibt heutzutage sehr viel Unsinn über die Würde der Handarbeit. Es ist für Jedermann schimpflich, etwas zu thun, was ihm kein Vergnügen bereitet. Conalräumen z. B. ist eine disgustirende Handarbeit. Dies mit geistiger, moralischer oder physischer Würde zu thun, scheint mir unmöglich. Der Mensch ist für etwas Besseres bestimmt, als für schmutzige Handarbeiten. Alle diese Arbeiten sollten durch Maschinen verrichtet werden.

Bis zum heutigen Tage ist der Mensch der Sklave der Maschine, und es liegt etwas Tragisches in dem Factum, daß der Mensch von dem Momente an, als er die Maschine er ¬ fand, zu darben begann. Dies ist das Resultat unserer gegenwärtigen Eigenthums- und Erwerbsverhältnisse. Ein Mensch ist Eigenthümer einer Maschine, welche die Arbeit von fünfhundert Menschen verrichtet. Fünfhundert Menschen haben in Folge dessen keine Beschäjtigung, werden hungrig und stehlen. Der eine Mensch erhält die Produkte der Maschine und hat fünfhundertmal so viel, als er haben sollte und wahrscheinlich, was noch wichtiger ist, viel mehr, als er in Wirklichkeit braucht.

Wäre diese Maschine das Eigenthum Aller, so würden Alle von ihr Nutzen ziehen. Es würde ein immenser Vortheil für die Allgemeinheit sein. Alle intellectuelle Arbeit, alle monotone Arbeit, alle gefährliche Arbeit sollte durch Maschinen verrichtet werden. Gegenwärtig arbeitet die Maschine gegen die Menschen. Unter anderen Umständen würde die Maschine den Menschen dienen.

By Oscar Wilde.

Reprinting prohibited.

On the evening of the wonderful first of May, when all the buds were sprouting, the trial of the famous English writer Oscar Wilde ended before a London jury with a sensational surprise. We reported that the jury found the indictment not guilty. But that not-guilty count related to only four counts of the indictment, and the jury could not agree on the remaining guilty pleas. The judge only acquitted the defendant on those four counts. Wilde remained in a hurry, however, since the bond to be provided has not yet been determined, and the trial will soon be repeated before another jury. The deep fall of this important writer has caused a tremendous sensation throughout England, of which one will perhaps get an idea when one hears that the extra editions of the Wednesday evening papers, which reported on the above-mentioned course of the trial, one in London found such rapid sales as in no other event since the last war. In any case, Oskar Wilde is an interesting personality. As a writer he is best known for his epigrams and maxims; From these we want to share some samples with our readers:

A man cannot be too careful in choosing his enemies.

Serfs are sphinxes without secrets. Those who are faithful know only love's comedy; it is the infidelity that knows the tragedy of love.

Men marry because they are tired, women because they are curious; and both will be disappointed.

The only difference between a caprice and a lifelong passion is that the caprice lasts a little longer.

There are but five women in all London worth speaking of; and two of them cannot be brought into decent company.

When a man does something really stupid, it's always for the noblest of reasons.

The only way a woman can change a man is to bore him so thoroughly that he loses all interest in life.

Nothing makes a man so vain as to be told he is a sinner. The only magic of the past is that it is the past.

The only way to break free from temptation is to succumb to it. One should never take sides in anything; Partisanship is the beginning of sincerity, seriousness soon follows, and the human being becomes obnoxious.

Simple women are always jealous of their husbands, beautiful women never. Beautiful women never have time; they are always busy being jealous of other women's men.

Nothing is more detrimental to a romance than a little humor in the woman, or lack of it in the man.

A woman who tells you her real age should never be trusted. A woman who tells you her age tells you everything.

When Ernst and I got engaged, he swore to me on his knees that he had never loved anyone else before. I was very young then, so I didn't believe him. After being married for five or six months, I found that he had told me the whole truth at the time. And these kinds of men make life so uninteresting.

Men always want to be a woman's first love. We women find it more reasonable. We just want to be a man's last novel.

The only difference between a saint and a sinner is that every saint has a past and every sinner has a future.

Temperance is a fatal thing. Nothing succeeds like rioting.

Divorces are finalized in heaven.

The truth is seldom pure and never simple.

The women only call themselves sisters when they have already called each other all sorts of things.

I'm always bored in the country; this is called agricultural decline.

One shouldn't always judge a man by what he does. He can keep the laws and yet be worthless. He can break the laws and still be noble.

He can be bad without ever doing anything bad. He can commit a sin against society and yet prove his perfection by that sin.

A lot of nonsense is written these days about the dignity of manual labor. It is shameful for anyone to do anything that gives him no pleasure. conal spaces z. B. is a disgusting manual work. To do this with spiritual, moral, or physical dignity seems to me impossible. Man is destined for something better than dirty handwork. All this work should be done by machines.

To this day man is the slave of the machine, and there is something tragic in the fact that from the moment man invented the machine he began to starve. This is the result of our current ownership and acquisition conditions. One man owns a machine that does the work of five hundred men. Five hundred people have no employment as a result, go hungry and steal. One man receives the products of the machine and has five hundred times more than he should have and probably, more importantly, far more than he really needs.

If this machine were the property of everyone, everyone would benefit from it. It would be of immense benefit to the community. All intellectual work, all monotonous work, all dangerous work should be done by machines. Now the machine is working against the people. In other circumstances, the machine would serve the people.

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