Gerichtssaal.

Wir haben bereits telegraphisch über den Ausgang des Processes berichtet, den der Englische Dramatiker Oskar Wilde gegen den Marquis Queensberry in London angestrengt hatte. Der Lord wurde freigesprochen; der Kläger Wilde erscheint nun als Angeklagter in einem zweiten Scandalprocesse, der wohl demnächst stattfinden wird, nachdem er bereits am Sonnabend verhaftet worden ist. Wilde, ein 40jähriger Mann und Familienvater, war nicht blos ein berühmter und populärer Dichter, sondern auch en allbekanntes Mitglied der Londoner haute volée. Er ist Schöngeist und excentrisch, die Seele der „ästhetischen” Bewegung in England, deren Jünger als Symbol eine Lilie in der Hand zu tragen pflegten und welche in Sullivans „Mikado” so vortrefflich carricirt ist. Auch der Marquis von Queensberry gehört zur Klasse der Excentricisten. Bei der Erstaufführung von Oskar Wildes „The importance of being earnest” (Die Nothwendigkeit ernst zu sein”) erschien er mit einem ungeheueren – Gemüsebouquet im Theater. Als ihm ein Polizist den Eintritt damit verweigerte, warf er den sonderbaren Strauß durch den Schalter des Kassenfensters dem Billetverkäufer an den Kopf mit der Bemerkung, es sei für Oskar Wilde bestimmt. Die beleidigenden Aeußerungen Lord Queensberrys waren auf einer von diesem dem Portier des Albemarie-Clubs für Wilde übergebenen offenen Visitenkarte enthalten. Der Marquis hatte, wie seiner Zeit berichtet, Wilde des unzüchtigen Umganges mit seinem zwanzigjährigen Sohne, Lord Alfred Douglas, beschuldigt. Absichtlich, so erklärte der Marquis, wolle er die Sache auf die Spitze treiben, um seinen Sohn zu retten. Die bei den Gerichtsverhandlungen an das Licht gekommenen Thatsachen waren so empörender Natur, daß die conservative „St. James Gazette” die Berichterstattung einstellte und sich auf die Mittheilung des Resultats beschränkte. Der „Daily Chronicle” erklärte seinen Lesern, daß er im Interesse des öffentlichen Umstandes den Proceß nur in aller Kürze bringen könne. Die allermeisten Londoner Zeitungen wählten allerdings einen anderen Weg und tischten ihren Lesern seitenlange Berichte auf, welche jedenfalls unermeßlichen Schaden gestiftet haben. --- Die Vertheidigung suchte am ersten Tage aus Oskar Wildes Schriften dessen contrasexuale Eigenschaften zu beweisen. In dieser Beziehung bot die zuerst in „Lippincotts Magain” veröffentlichte Novelle „Dorian Grey” für den Criminalpsychologen äußerst interessante Beiträge. Die am zweiten Tage verlesenen Briefe des Lord Alfred Douglas an Wilde und seinen an diesen gerichtete Ode brachten ein Grabesschweigen im Gerichtssaal hervor. Auch die Briefe, welche der junge Mann an seinen Vater, den Marquis von Queensberry, gerichtet hatte, gelangten zur Verlesung. Dieselben enthüllten traurige Familienverhältnisse. In einem derselben heißt es: „Ich bin volljährig und mein eigener Herr. Du hast mich schon zwölf Mal enterben wollen. Wenn Oskar Wilde Dich strafrechtlich belangen wollte, so würdest Du sieben Jahre Zuchthaus bekommen. Obgleich ich Dich verabscheue, will ich dennoch im Interesse unserer Familie es vermeiden. Wenn Du mich angreifst, so werde ich mich mit dem Revolver vertheigen. Es wäre völlig gerechtfertigt, wenn ich oder er Dich erschöffe, da wir uns nur vertheidigen würden gegen einen gefährlichen Raufbold. Ich glaube, nicht Viele würden Dich vermissen, wenn du todt wärest.” Im Laufe der Verhandlung behauptete die Vertheidigung, daß Wilde verbotenen Umgang mit einer ganzen Anzahl junger Männer, u. A. mit Bediensteten des Savoy-Hotels, gepflogen habe. Einen unerwarteten Abschluß fand der Proceß, als die Vertheidigung ihre Zeugen vorführen wollte. Der Anwalt Wildes, Sir Edward Clarke, erklärte zum allgemeinen Erstaunen, daß sein Client die Anklage zurückziehen und derselbe sich mit dem Verdict „Nichtschuldig” zufrieden geben wolle. Der Anwalt des Marquis, Carson, hatte nichts dagegen einzuwenden.

Der verhaftete englische Dramatiker Oskar Wilde, ein 40jähriger Mann Familienvater, war nicht bloß ein berühmter und populärer Dichter, fanden auch ein allbekanntes Mitglied der Londoner haute volée. Er ist Schöngeist und excentrisch, die Seele der „ästhetischen” Bewegung in England, deren Jünger als Symbol eine Lilie in der Hand zu tragen pflegten, und welche in Sullivans „Mikado” so vortrefflich karrikiert ist. Auch der Marquis von Queensberry gehört zu Klasse der Excentrizisten. Bei der Erstaufführung von Oskar Wildes „The importance of being earnest” (Die Notwendigkeit ernst zu sein) erschien er mit einem ungeheueren – Gemüsebouquet im Theater. Als ihm ein Polizist den Eintritt damit verweigerte, warf er den sonderbaren Strauß durch den Schalter des Kassenfensters dem Billetverkäufer an den Kopf mit der Bemerkung, es sei für Oskar Wilde bestimmt. Die beleidigenden Aeußerungen Lord Queensberrys waren auf einer von diesem dem Portier des Albemarie-Klubs für Wilde übergeben offenen Visitenkarte enthalten. Der Marquis hatte Wilde des unzüchtigen Umganges mit seinem 20jährigen Sohne, Lord Alfred wolle er die Sache auf die Spitze treiben, um seinen Sohn zu retten. Die bei den Gerichtsverhandlungen an das Licht gekommenen Thatsachen waren so empörender Natur, daß die Konservative „St. James Gazette” die Berichterstattung einstellte und sich auf die Mitteilung des Resultats beschränkte. Der „Daily Chronicle” erklärte seinen Lesern, daß er im Interesse des öffentlichen Anstandes den Prozeß nur in aller Kürze bringen könne. Die allermeisten Londoner Zeitungen wählten allerdings einen anderen Weg und tischten ihren Lesern seitenlange Berichte auf, welche jedenfalls unermerßlichen Schaden gestiftet haben. --- Die Verteidigung suchte am ersten Tage aus Oskar Wildes Schriften dessen kontrasexuale Eigenschaften zu beweisen. In dieser Beziehung bot die zuerst in „Lippincotts Magazin” veröffentlichte Novelle „Dorian Grey” für den Kriminalpsychologen äußerst interessante Beiträge. Die am zweiten Tage verlesenen Briefe des Lord Alfred Douglas an Wilde und seine an diesen gerichtete Ode brachten ein Grabesschweigen im Gerichtssaal hervor. Auch die Briefe, welche der junge Mann an seinen Vater, den Marquis von Queensbery, gerichtet hatte, gelangten zur Verlesung. Dieselben enthüllten traurige Familienverhältnisse. In einem derselben heißt es: „Ich bin volljährig und mein eigener Herr. Du hast mich schon zwölf Mal enterben wollen. Wenn Oskar Wilde Dich strafrechtlich belangen wollte, so würdest Du sieben Jahre Zuchthaus bekommen. Obgleich ich Dich verabscheue, will ich dennoch Interesse unserer Familie es vermeiden. Wenn Du mich angreifst, so werde ich mich mit dem Revolver verteidigen. Es wäre völlig gerechtfertigt, wenn ich oder er Dich erschösse, da wie uns nur verteidigen würden gegen einen gefährlichen Raufbold. Ich glaube, nicht viele würden Dich vermissen, wenn Du tot wärest.” Im Laufe der Verhandlung behauptete die Verteidigung, daß Wilde verbotenen Umgang mit einer ganzen Anzahl junger Männer, u.a. mit Bediensteten des Savoy-Hotels, gepflogen habe. Einen unerwarteten Abschluß fand der Prozeß, als die Verteidigung ihre Zeugen vorführen wollte. Der Anwalt Wildes, Sir Edward Clarke, erklärte zum allgemeinen Erstaunen, daß sein Klient die Anklage zurückziehen und derselbe sich mit dem Verdikt „Nichtschuldig” zufrieden geben wolle. Der Anwalt des Marquis, Carson, hatte nichts dagegen einzuwenden.

courtroom.

We have already telegraphed the outcome of the trial which the English playwright Oskar Wilde had instituted against the Marquis Queensberry in London. The lord was acquitted; the plaintiff Wilde now appears as a defendant in a second scandal trial, which will probably take place shortly after he had already been arrested on Saturday. Wilde, a 40-year-old man and family man, was not only a famous and popular poet, but also a well-known member of London's haute volée. He is esthete and eccentric, the soul of the "aesthetic" movement in England, whose disciples used to carry a lily in their hand as a symbol, and who is so admirably caricatured in Sullivan's "Mikado." The Marquis of Queensberry also belongs to the class of eccentricists. At the premiere of Oskar Wilde's The Importance of Being Earnest, he appeared in the theater with an enormous bouquet of vegetables. When a policeman refused him entry with it, he threw the strange bouquet at the ticket seller's head through the counter in the box office window, remarking that it was intended for Oskar Wilde. Lord Queensberry's insulting remarks were contained on an open calling card given by Lord Queensberry to the porter of the Albemarie Club for Wilde. The Marquis, as was reported at the time, had accused Wilde of indecent dealings with his twenty-year-old son, Lord Alfred Douglas. Deliberately, the Marquis explained, he wanted to take matters to the extreme in order to save his son. The facts that came to light at the court hearings were of such an outrageous nature that the conservative "St. James Gazette” stopped reporting and limited itself to reporting the result. The Daily Chronicle explained to its readers that, in the interest of public circumstance, it could only give a brief summary of the trial. The vast majority of London newspapers, however, chose a different path and served up pages of reports to their readers, which in any case caused immeasurable damage. --- The defense tried on the first day to prove Oskar Wilde's contrasexual properties from his writings. In this regard, the novella Dorian Gray, first published in Lippincott's Magain, made extremely interesting contributions to the criminal psychologist. Lord Alfred Douglas' letters to Wilde, and his ode to Wilde, read on the second day, produced a deathly silence in the courtroom. The letters which the young man had addressed to his father, the Marquis of Queensberry, were also read out. The same revealed sad family relationships. One of them says: “I am of legal age and my own master. You've already tried to disinherit me twelve times. If Oskar Wilde wanted to prosecute you, you would get seven years in prison. Although I despise you, I want to avoid it for the sake of our family. If you attack me, I will defend myself with a revolver. It would be entirely justified if I or he created you, since we would only be defending ourselves against a dangerous brawler. I don't think many would miss you if you were dead." In the course of the trial the defense asserted that Wilde had been in illicit dealings with a number of young men, including servants of the Savoy Hotel. The trial came to an unexpected conclusion when the defense wanted to produce their witnesses. Wilde's lawyer, Sir Edward Clarke, declared to everyone's astonishment that his client wanted to drop the charges and be content with the verdict of "not guilty". The Marquis' attorney, Carson, had no objection.