Jenseits von Gut und Böse.

In London regt gegenwärtig ein Skandalprozess die Gemüter des Publikums auf. Kläger war der Bühnendichter Oskar Wilde, den die Engländer ihren Gordon nannten und der als Führer der englischen „Decadenten” galt. Dieser Wilde streute sich selber Weihrauch, seine Kleidung wurde von der goldenen Jugend nachgeäfft und seine geistreich sein sollenden Aussprüche wanderten als Oscarismen von Klub zu Klub. Der Marquis von Queensberry, dessen Sohn Alfred Douglas mit Wilde sehr intime Beziehungen unterhielt, hab eines Tages in Wilde´s Klub seine offene Visitenkarte ab, auf der er dem Schriftsteller unnatürliche Laster vorwarf. Wilde blieb nun nichts anderes übrig, als den Marquis wegen verbrecherischer Verleumdung zu belangen. Der Marquis verteidigte sich durch Antritt des Wahrheitsbeweises, und das zweitägige Kreuzverhör, mit dem sein Anwalt, der äußerst schneidige und geschickte Mr. Carson, den Schriftsteller bearbeitete, enthüllte eine so seltsame Geschichte, daß die Rollen zwischen Kläger und Beklagtem bald vertauscht waren und Wilde sich gegen eine Reihe von Anklagen zu verteidigen hatte, wie sie schwerer gegen einen Gentleman nicht erhoben werden können. Mr. Carson eröffnete seinen Angriff auf die Moralität des Schriftstellers mit einer Analyse seiner anrüchigen Novelle „Dorian Grey”, sowie mit einer Reihe von Phrasen und Philosophien für den Gebrauch der Jugend, die Wilde für eine Oxforder Studentenzeitung, das „Chamäleon”, geliefert hatte. Der „Schriftsteller” antwortete hier dem „banausischen” Rechtsanwalt als „echter Künstler” mit Epigrammen und Paradoxen wie: „Es giebt kein solches Ding, wie ein unmoralisches Buch.” --- „Wenn ich ein Stück, ein Buch oder sonst etwas schreibe, so habe ich es nur mit Literatur, das heißt mit Kunst zu tun.” --- „Ich wünsche nicht, schlecht oder recht zu handeln, sondern ein Ding zu schaffen, das einige Qualität von Schönheit besitzt.” --- „Sich selbst zu verwirklichen, ist das erste Ziel des Lebens, und sich durch Luft zu verwirklichen, ist besser als durch Schmerz. Ich stehe hier ganz auf Seiten der Alten – der Griechen.” – „Ich habe niemals einem Menschen eine Herrschaft über mein Herz eingeräumt.” – Ich halte es für ganz natürlich, daß ein Künstler einen jungen Mann intensiv bewundert und liebt. Das ist eine Episode im Leben beinahe eines jeden Künstlers”. Der zweite Pfeil auf Mr. Carson´s Bogen waren vier Briefe, die Wilde an Lord Alfred Douglas geschrieben hatte. Sie waren in fremde Hände gefallen und Wilde hatte sie zurückgekauft. Einer kam zur Verlesung, der den Schriftsteller schwer belastete. Wilde meinte kühl: „Es ist gewiss kein gewöhnlicher Brief. Es ist ein schöner Brief. Nur ein Künstler konnte ihn schreiben. Er ist ein Sonett in Prosa.” Nach dieser Briefepisode zeigte Mr. Carson, daß der „vornehme Schriftsteller” mit einer ganzen Reihe zweifelhafter jungen Leute, Diener, Zeitungsjungen, Lehrlinge ec., befreundet war, mit ihnen dinirte, sie beschenkte und sich von ihnen duzen ließ. Was war die Veranlassung zu diesen seltsamen Freundschaften? „Oh”, lautete Wilde´s Antwort, „das Vergnügen an der Gesellschaft junger, glücklicher, sorgloser, origineller Leute … Für mich ist die bloße Tatsache der Jugend etwas so Wundervolles, daß ich eine halbe Stunde Plaudern mit einem jungen Manne selbst einem Kreuzverhör vor Gericht vorzöge.”

Der Prozess endete mit der Vermessung Wilde´s vor das Kriminalgericht. Er wurde verhaftet, als er eben von seinem Bankier kam. Er heuchelte bei seiner Festnehmung Gleichgiltigkeit, aber sein Gesicht war bleich und arg verzerrt. Oskar Wilde, der die Frechheit hatte, seinen Beleidiger zu verklagen, wird sich jetzt gegen eine schwere Anklage zu verteidigen haben. Die Verbrechen, welche man ihm zur Last legt, werden in England mit langjähriger Zuchthausstrafe geahndet.

Beyond Good and Evil.

In London, a scandalous process is currently stirring up the minds of the public. The plaintiff was the playwright Oskar Wilde, whom the English called their Gordon and who was considered the leader of the English “decadents”. This savage sprinkled incense himself, his clothes were aped by the golden youth, and his sayings, which were supposed to be witty, wandered from club to club as Oscarisms. The Marquess of Queensberry, whose son Alfred Douglas was very intimate with Wilde, showed his business card one day at Wilde's Club, on which he accused the writer of unnatural vices. Wilde now had no choice but to prosecute the Marquis for criminal slander. The Marquis defended himself by proving the truth, and the two days' cross-examination by which his solicitor, the extremely dashing and skilful Mr. Carson, worked on the writer, revealed a story so strange that the roles were soon reversed between prosecutor and defendant and savages had to defend himself against a series of charges such as could not be more severely leveled against a gentleman. Mr. Carson opened his attack on the writer's morality with an analysis of his sordid novella Dorian Grey, and a set of phrases and philosophies for the use of youth which Wilde had supplied for an Oxford student newspaper, the Chameleon . The "writer" answered the "philistine" lawyer as a "real artist" with epigrams and paradoxes like: "There is no such thing as an immoral book." --- "When I write a play, a book or anything else, I'm only dealing with literature, that is, with art." --- "I do not wish to do wrong or right, but to create a thing that has some quality of beauty." --- “Self-realization is the first goal of life, and realizing through air is better than through pain. I'm all on the side of the ancients here - the Greeks." – “I have never given man dominion over my heart.” – I think it is quite natural that an artist admires and loves a young man intensely. This is an episode in the life of almost every artist”. The second arrow on Mr. Carson's bow were four letters that Wilde had written to Lord Alfred Douglas. They had fallen into strange hands and Wilde had bought them back. One came to be read that weighed heavily on the writer. Wilde said coolly, "It's certainly no ordinary letter. It's a beautiful letter. Only an artist could write it. It is a sonnet in prose." After this episode of letters, Mr. Carson showed that the "distinguished writer" was friends with a whole series of dubious young people, servants, newspaper boys, apprentices, etc., dined with them, gave them presents and let them call him the first name. What prompted these strange friendships? "Oh," was Wilde's reply, "the pleasure of the company of young, happy, carefree, original people... To me the mere fact of youth is something so wonderful that I even cross-examine half an hour's chat with a young man." preferred in court."

The process ended with Wilde's measurement before the criminal court. He was arrested just coming from his banker. He feigned indifference when arrested, but his face was pale and badly distorted. Oskar Wilde, who had the gall to sue his offender, will now have to defend himself against a serious charge. The crimes he is accused of are punished in England with a long prison sentence.

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