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Original paragraph in
Berliner Volkszeitung - Sunday, June 9, 1895
Berliner Volkszeitung - Sunday, June 9, 1895
Most similar paragraph from
Neues Wiener Journal - Friday, June 14, 1895
Neues Wiener Journal - Friday, June 14, 1895
Difference
Die englischen Zuchthäuser. Aus London schreibt man der „Boss. Ztg.”: John Most, der ehemalige Reichstagsabgeordnete und Anarchist, ist
ein Fachkundiger in Zuchthausangelegenheiten. Nachdem er die Staatsgefängnisse und Zuchthäuser so ziemlich aller Herren Länder mit eigenem Leibe
durchgekostet hatte, konnte er auf Grund seiner Erfahrungen erklären, daß die englische Zuchthausbehandlung die allerniederträchtigste sei. Ein mit
beispielloser Gemeinheit geschriebener Artikel über die Ermordung Kaiser Alexanders II. trug Most zwölf Monate harter Arbeit ein. Zwölf Monate Tretmühle
und Tauendenzupfen genügten, um ihn zu bestimmen, für alle Zeiten freiwillig dem freiheitlichen England den Rücken zu kehren. An diese Most’chen
Erfahrungen muss man unwillkürlich denken, liest man, wie jetzt in Pentonville mit Oskar Wilde, dem jüngst zu zwei Jahren harter Arbeit verurteilten
Dramatiker und Exliebling der hohen Londoner Gesellschaft, umgesprungen wird. Gerüchte hatten vermeldet, Wilde sei bereits todsüchtig geworden und habe in
die „Gummizelle” gebracht werden müssen. Das wollte die Zuchthausverwaltung nicht auf sich sitzen lassen und deshalb stellte sie den Sachverhalt richtig.
Nach seiner Einlieferung in Pentonville wurde Wilde einer Untersuchung durch den Anstaltsarzt unterzogen, der das Haupt der englischen „Decadents” als für
„Zwangsarbeit ersten Klasse” tauglich erklärte. Das bedeutet neben sonstiger anstrengender Tätigkeit täglich sechs Stunden Tretmühle. Nun erhielt Wilde
die erste Dosis „Zuchthausmedizin”, das ist eine für alle Gefangenen vorgeschriebene Menge von Bromkalium, das niederschlagend und nervenberuhigend wirken
soll; eine Menge, die in der ersten Zeit der Gefangenschaft recht beträchtlich ist und dann im weiteren Verlauf abgeschwächt wird. Wilde nahm seine Dosis
willig; sie war aber so stark bemessen, daß er am vierten Tage nach seiner Einlieferung unter Vergiftungserscheinungen mit unablässiger Diarrhoe so heftig
erkrankte, daß man für sein Leben fürchtete und ihn in die Kranken-Abteilung ins Bett schickte, wo er zwei Tage und zwei Nächte lang keinen Augenblick aus
den Augen gelassen wurde, will man wegen der gleichzeitig auftretenden starken psychischen Prokrastination und Melancholie einen Selbstmordversuch
befürchtete. Die Bromkaliumdosen wurden natürlich eingestellt, und so erholte sich Wilde wieder, behielt aber seine Schwermut und wurde deshalb unter die
Zwangsarbeiter zweiter Klasse versetzt. Für diese kommt die Tretmühle in Wegfall und wird durch Tauendenzupfen ersetzt. Wilde’s Lebensweise ist jetzt
folgende: Um sechs Uhr Morgens Aufstehen und Auswaschen seiner Zelle. Um sieben Uhr Frühstück, bestehend aus Kakaowasser und Brot, eine Stunde Bewegung im
Freien und Rückkehr zur Isolirzelle, wo bis zwölf Uhr Tauenden zu Werg zerzupft werden. Das Mittagessen besteht abwechselnd aus Suppe oder Speck mit
Bohnen; einmal in der Woche erhält der Gefangene kaltes Fleisch. Von halb ein Uhr Nachmittags bis sechs Uhr Abends wird wieder Werg bereitet, dann
Abendessen, bestehend aus Thee und Brot, und um Sieben Uhr Abends Schlafenszeit. Wilde erhält eine bestimmte Menge Tauenden zugewisen, die er täglich
verarbeiten muss; er darf mit keinem Menschen sprechen und befindet sich mit Ausnahme der einen Stunde Bewegung im Freien vollständig in Isolirhaft. Er
darf viermal im Jahre Besuch von Freunden erhalten, jedoch kann die Zuchthausbehörde die Erlaubniss zu diesen Besuchen, ohne zur Angabe von Gründen
verpflichtet zu sein, vorenthalten. Bei Wildes Genossen Taylor haben sich n Folge der Zuchthausbehandlung bereits so schwere Zeichen von Herzerkrankung
gezeigt, daß Taylor ebenfalls in die Krankenstation gebracht werden musste.
(Oscar Wilde im Zuchthaus.) Nach der Verurtheilung des Dramatikers Oscar Wilde brachten die Blätter Mittheilungen über die schreckliche
englische Zuchthausbehandlung, die der ehemalige Liebling der Londoner Gesellschaft erdulden müsse. Gerüchte haben vermeldet, Wilde sei infolge derselben
bereits todsüchtig geworden und habe in die „Gummizelle” gebracht werden müssen. Das wollte die Zuchthausverwaltung nicht auf sich sitzen lassen und
deshalb stellte sie den Sachverhalt richtig. Nach seiner Einlieferung in Pentonville wurde Wilde einer Untersuchung durch den Anstaltsarzt unterzogen, der
das Haupt der englischen „Decadents” als für „Zwangsarbeit erster Klasse” tauglich erklärte. Das bedeutet neben sonstiger anstrengender Thätigkeit täglich
sechs Stunden Tretmühle. Nun erhielt Wilde die erste Dosis „Zuchthausmedicin”, das ist, eine für alle Gefangenen vorgeschriebene Menge von Bromkalium, das
niederschlagend und nervenberuhigend wirken soll: eine Menge, die in der ersten Zeit der Gefangenschaft recht beträchtlich ist und dann im weiteren
Verlauf abgeschwächt wird, Wilde nahm seine Dosis willig; sie war aber so stark bemessen, daß er am vierten Tage nach seiner Einlieferung unter
Vergiftungs-Erscheinungen so heftig erkrankte, daß man für sein Leben fürchtete und ihn in die Krankenabtheilung ins Bett schickte, wo er zwei Tage und
zwei Nächte lang keinen Augenblick aus den Augen gelassen wurde, weil man wegen der gleichzeitig auftretenden starken Melancholie einen Selbstmordversuch
befürchtete. Die Brokaliumdosen wurden natürlich eingestellt und so erholte sich Wilde wieder, behielt aber seine Schwermuth und wurde deshlab unter die
Zwangsarbeiter zweiter Klasse versetzt. Für diese kommt die Tretmühle in Wegfall und wird durch Tauendzupfen ersetzt. Wilde´s Lebensweise ist jetzt
folgende: Um sechs Uhr Morgens Aufstehen und Auswaschen seiner Zelle. Um sieben Uhr Frühstück, bestehend aus Cacaowasser und Brot, eine Stunde Bewegung im
Freien und Rückkehr zur Isolirzelle, wo bis zwölf Uhr Tauenden zu Werg zerzupft werden. Das Mittagessen besteht abwechselnd aus Suppe oder Speck mit
Bohnen; einmal in der Woche erhält der Gefangene kaltes Fleisch. Von halb ein Uhr Nachmittags bis sechs Uhr Abends wird wieder Werg bereitet, dann
Abendessen, bestehend aus Thee und Brot, um 7 Uhr Abends Schlafenszeit. Wilde erhält eine bestimmte Menge Tauenden zugewiesen, die er täglich verarbeitet
muß; er darf mit keinem Menschen sprechen und befindet sich mit Ausnahme der einen Stunde Bewegung im Freien vollständig in Isolirhaft. Er darf viermal im
Jahre Besuch von Freunden erhalten, jedoch kann die Zuchthausbehörde die Erlaubniß zu diesen Besuchen, ohne zur Angabe von Gründen verpflichtet zu sein,
vorenthalten. Bei Wilde's Genossen Taylor haben sich infolge der Zuchthausbehandlung bereits so schwere Zeichen von Herzerkrankung gezeigt, daß Taylor
ebenfalls in die Krankenstation gebracht werden mußte.